Montag, 3. Dezember 2007

Alexander Moszkowski: Ein tausendjähriges Rätsel

+ S + A + T + O + R
+ A + R + E + P + O
+ T + E + N + E + T
+ O + P + E + R + A
+ R + O + T + A + S

So sieht das Rätsel aus, das nun schon durch die Jahrhunderte vielen Forschern, vornehmlich Philologen, arges Kopfzerbrechen verursacht hat. Als Inschrift an geweihten Orten hielt es die Betrachtung Unzähliger magisch gebannt, viel Scharfsinn hat sich an ihm gewetzt, allein bis heute ist es nicht gelungen, den Sinn der fünf Zeilen aufzudecken. Man erkannte nur immer wieder, daß es sich um ein höchst merkwürdiges Buchstabenspiel handelte, vielleicht um eine Beispiellosigkeit. Das drängt sich schon dem flüchtigen Blick auf. Man kann die fünf Worte von links nach rechts, von rechts nach links, von oben nach unten, von unten nach oben lesen, – immer ergibt sich dasselbe. Es ist also, um den gebräuchlichen Kunstausdruck anzuwenden, ein »Palindrom«, und zwar ein Palindrom in vierter Potenz.

In dieser Merkwürdigkeit liegt aber nur ein äußerliches Kennzeichen des berühmten Rätsels. Die tiefer schürfende Frage richtet sich auf etwas anderes: Was hat dieser kuriosen Anordnung zum Range einer oft wiederkehrenden Inschrift verholfen? Mit der bloß spielerischen Deutung kommt man da nicht aus. Eine Inschrift muß sinnvoll sprechen; und wenn sie in Rätselform eine Frage stellt, so muß wenigstens die Fragestellung verständlich werden. Hier sprach eine Sphinx anscheinend lateinisch; mit den einzelnen Worten konnte man zur Not fertig werden; aber nicht der leiseste Verstandeszusammenhang wollte sich ergeben, und unter allen Grüblern, die dieser Sphinx gegenüberstanden, ist bis heute ein Ödipus nicht hervorgetreten.

Man hätte an eine mönchische Laune glauben können, wären jene Worte nur irgendwo in einer Klosterecke oder handschriftlich in einem Brevier angetroffen worden. Aber weit über solch enge Begrenzung haben sie sich fortgepflanzt, mit einer Kraft und Dauer, wie sie nur einem sinnigen Zitat eignen können. Eine ganze Literatur hat sich um sie aufgebaut; sie nennt die Stätten, die sich jener Inschrift zur Behausung bieten: die Kirche der Augustinerinnen von Verona, die Mutterkirche von Magliano, verschiedene französische und englische Kirchen; auf dem Pflaster der Sakristei der Kirche Pieve Terzagni in Tremona ist die Inschrift um das Mosaikbild der vier Evangelisten eingelassen; aufgenommen wurde sie in der Peterskirche bei Capestrano; und über Europa hinaus hat sie sich nach Ägypten und Äthiopien fortgepflanzt. Und nicht nur in Kathedralen und Basiliken hat sie sich ansässig gemacht; man findet sie in einer Bibel der Karolingerzeit, auf einem Siegelstempel spanischer Kirchenbehörde, auf den Stempelmarken der österreichischen Schatzkammer von 1572, auf Medaillen, auf dem Boden eines der Insel Gotland entstammenden Silberbechers, vermutlich noch an vielen anderen Orten; immer begleitet von den stummen, ach so vernehmlichen Seufzern Tausender: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten!

Ich glaube nun, daß ich imstande bin, eine Lösung des Rätsels vorzulegen. Es mußte unüberwindlich bleiben, solange wir nur mit dem Lexikon bewaffnet es angreifen wollten. Bei erstmaliger mechanischer Zerlegung zerfällt die Inschrift in zwei Teile, deren längerer kaum mehr beansprucht als das Wissen eines Tertianers. Sator: der Sämann; Tenet: hält; Opera: die Werke; Rotas: Flexionsform von rota, das Rad; vielleicht von rotare: kreisförmig umherdrehen. Aber »Arepo«? Starr und glotzäugig blickt dieses Wort aus dem magischen Quadrat in die Welt; kein Wörterbuch kennt es in dieser Form; in ihm scheint das Geheimnis der Schrift beschlossen, die sich sonach geradezu den Titel des Arepo-Problems verdient hat. Nur eine verwandte Bildung bietet sich zur Nothilfe: Arepennis, ein gallisches Wort, aus dem das spätere »arpent« entstand, in der Bedeutung eines Ackers von der Größe eines halben Morgens. Immerhin, vom Sämann zum Acker bestand die Begriffsbrücke; betrat man sie, so konnte man sich allenfalls bis zur vierten Zeile durchhelfen. Aber mit dem Wort »Rotas« war nichts anzufangen. Es fiel mit seinem radförmigen Inhalt aus der landwirtschaftlichen Beziehung heraus, und man sah sich gezwungen, zu transzendenten Deutungen zu flüchten.

Alle Möglichkeiten wurden durchstöbert. Bei Cicero heißt es: fortunae rota, die Unbeständigkeit des Glücks; im Lukrez steht: solis major rota, die kreisförmige Sonnenscheibe. Das ergab Hinweise auf Welt und Schicksal, die so eine Inschrift sehr nötig brauchte, um einigermaßen mit dem Anspruch auf Bedeutung und Würde zu bestehen. Man besann sich auf die Rota Romana, als eines Gerichtshofes im ehemaligen Kirchenstaat. Allein die geheimnisvolle Inschrift reicht in der Zeit weiter zurück als das Bestehen dieses Tribunals, und zudem paßte die Rechtspflege in keiner Weise auf irgend einen erträglichen Sinn des Ganzen. Ein italienischer Gelehrter verlegte ganz mystisch die Rota, den Radbegriff, in die Inschrift selbst, die nach vier Seiten gelesen dasselbe ergibt, sich also umdreht wie ein Rad. Wie Wind und Rad soll demnach die Inschrift ein Sinnbild geben für das Unendliche, für die Ewigkeit, für die Anfangs- und Endlosigkeit Gottes. In dieser gehobenen Umschreibung liegt zugleich der Verzicht auf ein deutliches Erfassen der Worte. Und viel mehr war aus den Auskünften kenntnisreicher Philologen, denen ich das Problem vorlegte, auch nicht herauszubringen.

Trotzdem kam ich von der Vermutung nicht los, daß eine Übersetzung, wenigstens in Annäherung, möglich sein müsse. Gab es ein Mittel, den Radspuren der Rota noch nach anderer Richtung zu folgen? Führte eine Spur vielleicht auf den Boden der Inschrift selbst, auf Tempelgrund?

Das entspricht nun tatsächlich der geschichtlichen und baulichen Wirklichkeit. Auf dem Boden der Weltkirche, zu Sankt Peter in Rom, befand sich unweit des Eingangs die »Rota Porphyretica«, ein kreisrunder, dem Boden eingefügter Porphyrstein, ein uraltes Wahrzeichen, dem für das Zeremoniell die größte Bedeutung zukam. Auf ihm hatte der kaiserliche Kandidat vor der Krönung sein Glaubensbekenntnis abzulegen. Auf dieser Rota wurde zelebriert, auf ihr wurden weltgeschichtliche Verträge geschlossen. Der Platz im Mittelpunkt der Rota beanspruchte im Heiligtum noch eine besondere Weihestellung.

Ganz zwanglos darf man weiter schließen, wenn man das engere Symbol für den größeren Begriff setzt, wie man Thron oder Szepter für das Königtum, die Fahne für das Regiment anspricht: Als Teil für das Ganze gesetzt bedeutet Rota: die Kirche; eine rhetorische Figur, die im Rahmen eines Spruches, eines Zitates vollkommen verständlich erscheint.

Nun gewinnt der vermeintliche Unsinn jener Buchstabenspielerei allmählich ein sinniges Gesicht; und zur restlosen Übersetzung bedarf es nur noch einer unschwierigen Preisgabe grammatischen Zwanges. Nehmen wir Arepo als den mundartlich verschobenen Beugungsfall von Arepennis, Acker, Scholle, Hufe; nehmen wir ferner das Schluß-s von Rotas als einen Ersatz für den Genitiv (wofür ja Analogien vorliegen, z. B. in »pater familias«), und die Aufgabe ist gelöst. Ein klarer, mit Herkunft und Örtlichkeit schön harmonisierender Satz erwächst aus dem Palindrom. Er heißt zunächst wörtlich: Der Sämann auf dem Acker hält (erhält, bewahrt, betreut) die Werke der Kirche; anders ausgedrückt könnte er die Form des Spruches annehmen:
Der Sämann, der seinen Acker bestellt,
Betreut die Werke der Kirchenwelt.
Hierin wäre eine Interessengemeinschaft und Solidarität zwischen den Kreisen der irdischen und der himmlischen Werktätigkeit ausgedrückt. Und deutlicher oder zweckdienlicher braucht sich ja eine Inschrift an geweihtem Platz gar nicht auszudrücken.

Daß sie außerdem noch das Wunder leistet, in jeder gewählten Leserichtung den gleichen Klang und Sinn zu ergeben, verbürgt ihr den Rang des Unikums. Um dieses Einzigartige und Unwiederholbare zustande zu bringen, mußte sich eben der verschollene Verfasser der Inschrift an zwei Stellen zu einem mäßigen Zugeständnis an die Grammatik entschließen. Die rein formale Genauigkeit konnte nicht entscheiden und verbieten, wo es galt, aus der Unendlichkeit aller Wortfolgen einen so staunenswerten Sonderfall zu gewinnen. Wir besitzen zwei lateinische Sätze und einen griechischen Spruch, die umkehrbar sind, d. h. vor- und rückwärts gelesen das Gleiche ergeben. Aber das sind ja Kleinigkeiten gegen unser magisches Quadrat, das sich der identischen Lesung nach vier Seiten öffnet. Durch ein Jahrtausend hat es sich, selbst unter der Larve der Sinnlosigkeit, als ein Mirakel erhalten. Glückt es nun noch, die uralte Verschleierung zu beseitigen und in dem Gestammel eine verständliche Menschenrede zu erkennen, so tritt noch ein weiteres Wertmaß auf: das der Würde. Die von mir vorgeschlagene Lösung erhebt nicht den Anspruch auf Endgiltigkeit; sie zeigt indeß einen Weg, und selbst einem Bezweifler wird sie in ihrer vorläufigen Fassung lieber sein als der blanke Verzicht auf irgendwelche Erklärung.

Ich darf feststellen, daß mein Lösungsversuch die ganze uralte Arepo-Frage erneut ins Rollen gebracht hat. Ich geriet in ein langanhaltendes Kreuzfeuer von Zuschriften und Artikeln, die auf allen erdenklichen, logischen wie abenteuerlich verschlungenen Denkwegen diesem Problem beizukommen versuchten. Sehr interessant erschien mir die Mitteilung eines Arztes, daß jene rätselhafte Schrift auch in der medizinischen Fachwissenschaft eine Rolle gespielt hat. In den »Ägyptischen Geheimnissen für Mensch und Vieh« des gelehrten Magiers Albertus Magnus befindet sich die Anweisung, die Worte Sator Arepo usw. auf Streifen zu schreiben und den kranken Haustieren gegen Hexerei und Teufelswerk einzugeben. Auch gegen Brandgefahr sollen sie sich bewähren: man schreibe Sator Arepo usw. auf jede Seite eines Zinntellers, und werfe ihn in die Flammen, sogleich wird das Feuer geduldig verlöschen. Das hohe Alter der Spruchformel wird ja durch anderweitige Tatsachen genügend erwiesen; aus den Anweisungen des Doctor universalis Albertus Magnus ersieht man aber, daß sie sich bereits im dreizehnten Jahrhundert zu weitreichender Geltung durchgesetzt hatte.

Steckt vielleicht wirklich eine Gebetformel in dem Spruch? und wäre es möglich, sie offenkundig zu entwickeln?

Ein geistreicher Zeitgenosse, H. William, damals im Felde, hat auf Anregung des von mir frisch entrollten Problems den überaus kühnen Versuch gewagt, von den Einzelworten abzusehen, vielmehr nur die 25 Buchstaben des Quadrats nach der Methode des Rösselsprungs zu ordnen. Sein Ergebnis ist staunenswert: auf zwei verschiedenen, symmetrischen Rösselsprung-Zickzacklinien ermittelt er restlos: »Oro te pater, – oro te pater, – sanas!« »Ich bitte dich, Vater, Ich bitte dich, Vater, du heilst!« Kein Buchstabe bleibt übrig, und das Ganze erklingt als ein Stoßgebet in menschlicher Notlage.

Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß diese scharfsinnige und höchst verblüffende Deutung für die Zukunft den Sieg erringen wird, als einer magischen Frage magische Beantwortung.

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Essay entnommen aus Moszkowski,
Alexander: Unglaublichkeiten. Ernste und heitere Paradoxe. Berlin: Eysler [ca. 1920], als Online-Text im Projekt Gutenberg

Über Alexander Moszkowski (1851 - 1934):